Großstadt

100 Jahre Großdüsseldorf

„Mer sind us de Aldestadt, us de Retematäng..“. Am Ende dieses berühmtesten Altstadtliedes heißt es: „Ons Altstadt es bekannt bes Korschenbroich on Norf, mer blose jet op Klein Paris, mer sind Jroß- Düsseldorf“.
Jupp Schäfers dichtete das Lied 1909 nach der Eingemeindung von 8 Vorstadtgemeinden. Ddorf wuchs über das Doppelte seiner Fläche, die Einwohnerzahl schnellte auf 350 000.
Wersten hatte schon ein Jahr vorher den Reigen der anderen Gemeinden (Himmelgeist, Eller, Stockum, Rath, Gerresheim, Heerdt, Oberkassel, Lörick) eröffnet. Es bezog Wasser, Gas und Strom aus Düsseldorf. Wegen der vielen Ziegeleien verschwanden die Bauern, an die die Werstener ihre Fäkalien verkauft hatten, nun gab es wegen der Fäkalien Probleme mit der Wasserversorgung. Von Ddorf eingeschleuste Strohmänner forderten schon 1906 den Anschluß. Himmelgeist, verschwägert mit Wersten( 1806 als Kirchspiel Himmelgeist plus Honschaft Wersten zur Mairie Benrath gehörig) wollte ländlich bleiben und forderte die Trennung. Jetzt wurden die Werstener böse: „Wir haben für die Geisteskranken aus Himmelgeist die Anstalt auf unserem Boden gebaut, jetzt wollt Ihr euch vor den Kosten drücken“.

Aber Wersten war noch nicht das große Problem, das kam ein Jahr später.
500 Jahre lang, von 1394 bis 1907, hatte sich nichts verändert: Derendorf, Flingern, Bilk, Hamm, Volmerswerth, das war die Düsseldorfer Welt. Nun also der große Coup
Der Landkreis, das waren die Reste der alten bergischen Ämter Angermund, Monheim und Mettmann, zu denen einst ja auch Düsseldorf gehörte, stöhnte auf: Es würde ihm das „Herz aus dem Leibe gerissen“, man wolle die “Vernichtung des platten Landes“, „Heimat und lokale Eigenart“ seien bedroht. Es ging um den immer schärfer werdenden Gegensatz zwischen Industriestädten und Landkreisen, die von adeligen Großagrariern preussischer Prägung unterstützt wurden. Das gesunde Landleben des auf der Scholle lebenden Bauern gegen die Vermassung und vom sittlichen Verfall bedrohten Großstädte.
Dann wurde die Argumentation perfide: die Großstadt triebe das Proletariat an die Stadtgrenze und über diese hinaus, was man an Rath, Thewissen, Mörsenbroich, Oberbilk, Lierenfeld jetzt schon sehen könne.
Es half alles nichts, die Industrie war stärker, die Eingemeindung kam.

Die Stadt Gerresheim und die Honschaft Rath (Honschaft=aus fränkischer Zeit erhaltener Begriff einer steuerlichen Zusammenfassung von hundert Einheiten) waren durch ihre starke Industrialisierung eng mit Ddorf verzahnt.
Für Rath protestierte die Ärzteschaft: die bisher durchgeführten Reihenimpfungen aus der Armenpraxis seien nun für ihren Geldbeutel verloren. Den Bauern von Rath erlaubte man die Hausschlachtung, der Gemeinde die eigene Feuerwehr.
Gerresheim bekam ein eigenes Gymnasium und die Strassenbahn Nr 3, nachdem eigene Bahnpläne gescheitert waren.
Eller mit stolzer Vergangenheit, Stockum und Ludenberg waren, ähnlich wie Wersten, jetzt zu schwach, um Widerstand zu leisten.
Besonders raffiniert ging Ddorf mit den ihr seit 1000 Jahren völlig fremden linksrheinischen Gemeinden um. Das Kirchspiel Heerdt mit den Weilern Oberkassel, Niederkassel und Lörick gehörte seit 1378 zum Erzbistum Köln, war also kirchenpolitisch immer mit Neuss verbunden. Dann kamen 20 Jahre Franzosenherrschft, dann ab 1815 Preussen, und von da an lag Heerdt im Visier der Düsseldorfer
Die Verbindung Heerdts mit Oberkassel war die verhängnisvolle Heirat, die schließlich das uralte Heerdt zu Ddorf bringen sollte. Seit 1895 hatten Düsseldorfer Mittelsmäner billig Heerdter Land gekauft, wohl wissend, dass dieses Land 10 Jahre später unerschwinglich sein würde, denn schon ein Jahr später kam der Coup: die 1896 von Ddorfer Unternehmern gegründete Aktiengesellschaft „Rheinbahn“: eine Brücke, 9 Großunternehmen, ein völlig neuer Stadtteil Oberkassel. Heerdt wurde zunächst mit Brücken- und Fährrechten, sowie billigen Gas- Wasser- Stromrechnungen besänftigt. Als es sich 1904 gegen Ddorf auflehnte, war es zu spät. Die RWE Essen kaufte Aktien der Rheinbahn, worauf Ddorf die Rheinbahn kaufte und somit quasi Heerdt in der Hand hatte. So kam Heerdt, ein für Düsseldorfer schwer zu erreichender Ort mit engen Beziehungen zu Neuss, nach Ddorf.
„Mer blose jet op klein Paris“ hinterließ Narben, die bis heute schmerzen: besonders Neuss fühlte sich hintergangen
Dieter Jaeger


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