Carlstadt

die junge Altstadt

„Welch ein himmelweiter Unterschied zwischen dem düsteren Köln und dem reinlich hellen Düsseldorf!“
So fangen viele Reiseberichte des 18. Jh. an, es geht um die Carlstadt, ein gerade entstandener, neugierig machender Stadtteil
Die Hauptstrassen verliefen(entgegen zur alten Düsselrichtung W-O in der Altstadt) kerzengerade genau auf einem Meridian(Mittagslinie N-S), die Blöcke waren, dem Zitadellblock abgeschaut, sehr groß, die Häuser, klassizistisch, standen ohne Zwischenraum mit durchgehender Fassade an breiten Strassen.

Die Carlstadt ist immer noch reinlich, hell und schön und sehr smart dazu, ein In-Viertel mit hohen Preisen. Eingeteilt in Kultur: Bilkerstr(Heine, Schumann, Frankreich „Pain quotidien“ kann allerdings keiner aussprechen, Theater),
Essen Trinken: Hohestr(Jeronimos lecker,“Kontor“ sehr schick),
Antiquitäten: Bastionstr,
Geld und Industrie: Kasernenstr,
Mode: Breitestr. Wohnen: Post- Südstr
und den Markt, das heimliche Herz von Ddorf: Anfang der wilden Fastnachtweiber, Anfang der Radschläger, laut, chaotisch, prall.

Murat, ein in bunten Göringuniformen karnevalesk auftretender Chef(von Napoleons Gnaden) des Großherzogtums „Berg“ mit Hauptstadt Düsseldorf, ritt über die einzige Brücke aus seiner neuen Carlstadt heraus querfeldein nach Benrath in 20 Minuten. Ist heute kaum mit der UBahn zu toppen. Brücke und Strasse heißen immer noch „Benrather“.

Die Carlstadt war der Höhepunkt und gleichzeitig das Ende der Festung Ddorf
Eine Zeit, in der „Düsseldorf 2/3 seiner Fläche dem Krieg, den Rest den Menschen zum Leben gab“ (Trottmann). Das Festungsgelände reichte von der Kasernenstr bis zur Berliner Allee, von der Zicke/Stadtmuseum bis zum Ständehaus. In der letzten Phase gab es nur einen Ausgang (Elberfelderstr), das Bergertor war wegen Wassergefahr dauernd geschlossen. Wer z.B in der Bastionstr wohnte, musste also bis zum heutigen Kaufhof, um rauszukommen



Jan Wellem, wie so oft, hatte angefangen. Seine Pläne( schon seit 1684)gingen bis zum Fürstenwall(ein Wall war schon ausgehoben, aber das Geld reichte nicht) die Stadt wäre 5mal größer gewesen als die Altstadt

1702 reicht es immerhin für eine Kaserne (Ostseite Kasernenstr von GAP Hochhaus-Stahlhof bis Nordende Luisengymnasium) und ein Hospital mit Kirche nördlich der Kaserne (bis zur Benratherstr, Commerzbank).
Skandal, als 1718 dem Ausländer Marbais ein Teil der Kaserne für eine Fabrik gegeben wird. „Unsere Steuergelder!“ „Strafe Gottes!“, als in grandiosem Naturschauspiel die Blitze 1781 gebündelt in die gerade erfundenen Blitzableiter am Hospital einschlugen
Keiner wollte hier wohnen, es waren nur die Soldaten der Kaserne und die Armen im Hospital. Der Zugang war das kleine Stadtbrückchen bei der Neustrasse(heute noch vorhanden als Strassenbezeichnung, gehen Sie durch das Marxgebäude durch zum Cafe do Brazil, wo im Sommer beim Fußballweltsieg- und sie siegen immer- die nackten Sambamädchen tanzen.)
Dieses neue Gelände mit nur zwei Gebäuden bekommt 1705 eine neue Festunsmauer mit drei neuen Bastionen bis Haroldstr, im Düsselsumpf schräg zurück zur Zitadelle. Nun gab es aber 2 Mauersysteme, denn die alten Mauern an der Wallstr. waren stehengeblieben.

Zwei Mauern waren natürlich kein Zustand, also entsteht 1787 die CARLSTADT (Machtwort des Kurfürsten Carl Theodor nach langem Streit der Stadtväter). Militärarrestanten rissen die jetzt innere Bastion August ab und machten daraus den Carlplatz. 8m tiefe Gräben mussten zugeschüttet werden. Wegen Hochwasser musste alles bis zum Niveau der Hohestr erhöht werden, höchster Punkt und Gradmesser war das Kasernentor. Das ganze Gebiet um heute Carlplatz, Bilkerstr, Poststr war damals ein großer Düsselsee, „Cameralweiher“ genannt (=cameral=staatlich, im Gegensatz zu privat oder städtisch, von Kämmerer), den man langsam zurückdrängte bis zur Bastionstr. 1791 steht schon der Carlplatz, 1792 die Synagoge Kasernenstr. Neuer Zugang wird jetzt der Totenkeller der Kappuzinerkirche, die heutige Mittelstr, die Cafes(Starbuck)wissen es zum Glück nicht. Die Kinder des 19.Jh werden hier mit dem Schlitten von der Hohestr 3m hinunter in die Flingerstr sausen

Von Jan Wellem vorgegeben war das Rechteck der Kaserne, also wurde die ganze Carlstadt in 18 Rechtecke(Quadrate genannt) eingeteilt. Weil es nie ein Tor in der Carlstadt (zB zur Kö hinaus) gegeben hatte(Ausnahme:kleines Soldatentor, heute Karltor), konnte man die Strassen unabhängig von der Mauer anlegen. Ausschlaggebend war das Nordende des Hospitals, hier entsteht die wichtigste Ausfahrt Benratherstr. Die besten Rechtecke IV und V, hoch oben vor der Kaserne, waren am schnellsten weg, bei den Gräben unten am Carlsplatz dauerte es länger. 6 Pferde brauchte man z.B für einen großen Zimmerbalken. Gewinner waren die reichen Bauunternehmer, die gleich 10 Häuser bauten

Natürlich gab es bei der rasanten Bauerei Ärger. Steuerberater Leers: „Mein Haus liegt gegenüber dem Hospital, eine freie muntere Wohnung ist vereitelt, indem mein Haus den ganzen Tag dem unangenehmen Anblick kranker und müßiger Soldaten ausgesetzt ist“
Die Soldaten werden später immer wieder Ärger machen. Journalist Landauer: „Ach, die tapferen Soldaten, die nur immer tuten taten, ach, die trefflichen Rekruten, die auch heute wieder tuten“. Später war der Sündenbock der Gashersteller Middendorf aus der Benratherstr, der 1840 aus einem leckenden Möbelwagen Gas in eingepackten Schweinsblasen verkaufte. Gestank überall. Die Kinder liefen hinter ihm her: „Middendorf, Middendorf, böser alter Schiddendorf“.

Was für eine Verschwendung, die ganze Geschichte!
1892 ist die Carlstadt fertig mit neuer gewaltiger Stadtmauer, dann kommen die Franzosen 1894, verstärken noch mal die Mauer und bauen 6Jahre lang noch einen Gürtel von Aussenschanzen um Ddorf herum von Flehe bis Derendorf.

Und dann nach nur 10 Jahren 1801 wird alles abgerissen.
Die Franzosen verlassen Ddorf und schleifen die gesamte Festung. Übrig bleibt nur die „Kö“ mit einem Graben und einer Brücke darüber(Benrather Brücke)

Liebesgeschichten in der Carlstadt. Heine küsst die Henkerstocher Josefa, das „Rote Sefchen“, Brentano schmachtet im heutigen „Bastian“ für seine Luise Hensel(„müde bin ich, geh zur Ruh“), in der Kurbelkiste(Bunker am Carlplatz)stiegen die Halbwüchsigen der prüden 50iger vom Klo her unerlaubt ins Schmuddelkino, um erregt Martine Carol oder Francoise Arnoul zu sehen, die in “Sittenfilmen“(das war das Stichwort) einen Centimeter nackte Haut zeigten. Die schönste Liebesgeschichte aber spielte in der alten Kaserne.
Josefine, die Tochter des bürgerlichen Feldwebels Rinke, liebt Viktor, den adeligen angehenden Offizier. Halb noch Kinder, mit erstem Weh im Herzen, spielen sie zusammen, später ging das nicht mehr. Sie rudern im Hochwasserkeller in einer Waschbütt: “Fahr mich, hauchte Josefine,
Fahr mich noch mehr“, der Nachen legte sich auf die Seite, Josefine stieß einen Schrei aus, aber schon hatte Viktor sie umfasst. „Wirst du mich auch nicht vergessen?“, „Nein o nein“. Da küsste er sie und sie küsste ihn. Er fühlte nicht, dass seine Füße im Wasser standen, sie fühlte nicht, dass ihr Rock durchnässt war, sie fühlte nur den heimlichen Schauer, der ihr leise über den Körper rann.


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