Jetzt ist er nicht mehr, der schöne Baum im Garten der Blumenstrasse 7, den die Schrobsdorffsche Buchhandlung noch bis vor kurzem hinter Glas geschützt hatte. Die Legende will, dass dieser Baum Goethe zu seinem weltberühmten Gedicht inspiriert habe. Die Liebenden dieser Erde zitieren es, weil es wie kaum ein anderes Gedicht das Geheimnis zweier Liebender ausdrückt Dieses Baumes Blatt, der von Osten Meinem Garten anvertraut Gibt geheimen Sinn zu kosten Wie´s den Wissenden erbaut
Ist es ein lebendig Wesen Das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen Dass man sie als eines kennt?
Solche Fragen zu erwidern Fand ich wohl den rechten Sinn Fühlst Du nicht an meinen Liedern Dass ich eins und doppelt bin?
Legende oder nicht, es hätte so sein können. Als Goethe seinen Freund Jacobi in Pempelfort besuchte (1774 und 1792), stand die Stadtmauer noch. Das Terrain der heutigen Blumenstrasse vor der alten Mauer gehörte damals zu einem Garten, den Heinrich Schnabel, Richter, Oberbürgermeister, Polizeidirektor, schließlich Landrat, seit 1785 allmählich zum damals berühmten „Schnabelschen Lustgarten“ ausgebaut hatte. Der gefällte Baum soll 200 Jahre alt sein. Der Ginkgo-Baum wurde Ende des 18. Jh. in Deutschland eingeführt. Goethe mag den Garten vor dem Flinger Stadttor besucht haben.
Wahrscheinlicher ist, dass Goethe den Baum 1815 im Garten seines Gönners in Weimar gesehen hat. Wahrscheinlich auch ist der gefällte Baum erst 1850 in der „Kunstgärtnerei der Witwe Elisabeth Görtz“ gepflanzt worden, nach der die Gasse dann 1854 Blumenstrasse genannt wurde. Wie dem auch sei, Legenden sind immer schön, und, wie mein Freund, der Germanist Georg Vitz sagt: “Legenden brauchen keine Beweise“
Dieter Jaeger
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